Behördliche Kollektivstrafen sind im Schweizer Fussball gerade allgegenwärtig. In der aktuellen Runde traf es die Fans des FC St. Gallen, denen der Zutritt zum Gästesektor bei uns in Luzern durch die KKJPD verboten wurde. Alleine in den vorangegangenen vier Runden traf es bereits vier Spiele – tausende Fans sollten aus den Stadien ausgesperrt werden. Die Kadenz der Kollektivstrafen nimmt zu und die Behörden handeln zunehmend willkürlich. Viele Schweizer Fanszenen in den anderen Stadien verliessen darum an diesem Wochenende solidarisch ihre Kurven und Gästesektoren und verfolgten die Spiele in einem anderen Sektor.
Die Fans in der Schweiz sind wild, laut und vor allem zahlreich. Die Nationalliga A verzeichnete in den letzten Jahren einen grossen Zuwachs an Zuschauerinnen und Zuschauern. Saison für Saison werden neue Zuschauerrekorde aufgestellt. Die Fans sind ein wichtiges Element des Erfolgsmodells und der Attraktivität des Schweizer Fussballs. Viele Vereine sind auf die Stadioneinnahmen angewiesen, bei noch mehr Vereinen sind die Fankurven ein wesentlicher Teil des Stadionbesuchs – mag der Fussballsport in der Schweiz nicht immer mitreissend sein, seine Fans sind es oft genug. Sie sind gut organisiert und aktiv, wie kürzlich, als sie dazu beitrugen, die Einführung der Playoffs im Schweizer Spitzenfussball zu verhindern.
Nicht alle Facetten der Fankultur werden von allen gleichermassen positiv beurteilt. Während Fahnenmeere, Choreografien, Gesänge und Feuerwerk im Stadion auf viel Wohlwollen treffen, kann dasselbe von der Gewalt, die die Fankultur mitunter begleitet, kaum behauptet werden. Die Debatte darüber ist keineswegs eine neue Debatte, wie auch das Phänomen an sich nicht neu ist. Der 13. Mai 2006, als der FC Zürich vor mehr als 15 Jahren in Basel in letzter Minute den Meistertitel gewann und es daraufhin auf dem Spielfeld zu Auseinandersetzungen zwischen Fans und Spielern kam, ist dafür beispielhaft. Er wurde zu einem wesentlichen Eck- und Wendepunkt für den hiesigen Umgang mit der Fankultur.
Nach diesen Ereignissen folgte eine Reaktion der Vereine, Liga und Behörden, die seither im Wesentlichen auf zwei Elemente setzten – Repression seitens der Sicherheitsbehörden, Dialog seitens der Vereine und Liga. Zugleich intensivierte sich die Reflektion unter den organisierten Fanszenen, eine Selbstregulierung setzte ein, die mit dazu beitrug, dass sich die Situation im und um das Stadion weitestgehend beruhigte. Ausnahmen dazu gab und gibt es. Aber sie sind nicht die Regel. Während jedoch die Selbstregulierung der Kurven im Stillen wirkt, sich in ausbleibenden Ereignissen niederschlägt und folglich keine Bilder und Videos produziert, werden umgekehrt die Bilder der Ausnahmen dramatisiert und aufgebauscht – Schuld sind stets die Fans, Gegendarstellungen wie etwa durch die Fanarbeit (wie beim Spiel GC – BSC Young Boys) werden medial kaum je ernsthaft aufgenommen und wiedergegeben wie die Behauptungen der Sicherheitsbehörden.
Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (kurz: KKJPD) hat nun seit Beginn dieser Saison die Repressionsschraube gegen Fussballfans massiv angezogen. Die Vereine und Liga werden zu Statisten degradiert, während Hardliner und Hardlinerinnen aus den einen Kantonen den Vereinen in den anderen Kantonen die Schliessung ihrer Stadionsektoren verfügen. Es ist eine Eskalation ohne jede Not. Wissenschafter, die sich mit Gewalt im Sport beschäftigen und die Massnahmen der KKJPD evaluieren, bescheinigen dem Schweizer Fussball ein ausserordentlich tiefes Niveau der gewalttätigen Ereignisse, wenn man sie in ein Verhältnis zu vergangenen Saisons setzt. Und dies wohlgemerkt in einer Zeit, in der stets mehr Fans in die Stadien strömen.
Die Eskalation der KKJPD führt in die Sackgasse. Die gemeinsamen Aktionen der Fans an den vergangenen Spieltagen zeigen auf, wie leicht die Massnahmen der KKJPD umgangen werden können und ins Leere laufen. Diese Massnahmen sorgen einzig für mehr Unruhe und Kosten. Immer mehr Repression wird es nicht richten, der Griff zu den immer selben Rezepten aus dem Repressionsarsenal, die in den vergangenen Jahren immer wieder ihre Unwirksamkeit bewiesen haben, wird die Lage nicht bessern. Wer sich ernsthaft mit der Fankultur auseinandersetzen will, muss weg von Nulltoleranz, Befehl und kollektiver Erpressung via kollektiver Strafe und zurück zu Augenmass, Pragmatismus und Dialog – wie es im Übrigen seit vielen Jahren erfolgreich zwischen Fans und Vereinen praktiziert wird.
Die Kollektivstrafen betreffen alle Fans im Stadion. Macht die KKJPD so weiter wie nach dem Spiel zwischen dem FCZ und dem FC Basel vor drei Wochen, als nach Ereignissen weit ausserhalb des Stadions und weit nach Spielende kurzerhand die Zürcher Südkurve gesperrt wurde, kann es gut und gerne aus nichtigen Gründen sämtliche Sektoren in allen Schweizer Stadien treffen. Die Kollektivstrafe zielt auf alle, um einzelne zu treffen, was umgekehrt heisst, dass sich das Verhalten einiger weniger für alle einschneidend auswirken kann. Es ist eine behördliche Erpressung und eine schlechte noch dazu – als könnte überhaupt irgendwer eine absolute Garantie für das totale Ausbleiben aller missliebiger Ereignisse ausstellen – sei dies im Sport oder anderswo in unserer Gesellschaft. Die Vision einer totalen Nullrisikogesellschaft hat nichts mit der Realität zu tun, öffnet der behördlichen Willkür aber Tür und Tor. Weil das unrealistische Versprechen nicht gehalten werden kann, setzt schliesslich eine Spirale ein, die immer weitere repressive Massnahmen zur Folge hat. Es ist quasi eine sich selbst erfüllende Prophezeiung der Sicherheitsbehörden.
Bei der KKJPD herrscht eine verschobene Wahrnehmung bezüglich der gegenwärtigen Lage im Schweizer Fussball. Erst recht ist ihre Wahrnehmung bezüglich der Wirksamkeit ihrer Massnahmen verschoben. Auch die Fanszenen können sich verschieben – und verfolgten an diesem Wochenende, als bei uns in Luzern der Gästesektor geschlossen blieb, schweizweit die Spiele dieser Runde ausserhalb der ansonsten üblichen Kurven und Gästesektoren. Wenn man die Fankurven aus den Stadien treiben will, tragen wir die Kurven in weitere Teile des Stadions. Ziel dieser Aktion ist es aufzuzeigen, was die Kollektivstrafen der KKJPD für den Schweizer Fussball und seine Fans bedeuten. Wir wollen uns als Fans austauschen, mit allen im Stadion, von den Logen zu den Tribünen, von den Alteingesessenen zu den Familien. Von jenen, die ihre Hände verwerfen, wenn die Kurve wieder zündet, bis zu jenen, die früher selbst in den Kurven standen. Und wir wollen unmissverständlich klarmachen: Uns Fans wird man aus den Stadien nicht vertreiben.
AUF KOLLEKTIVSTRAFEN FOLGEN KOLLEKTIVE ANTWORTEN!
Szene Aarau, Canton Baden, Muttenzerkurve Basel, Ostkurve Bern, KOP SUD LAUSANNE, Curva Nord Lugano, USL, Tribune Neuch’, Gradin Nord (Sion), Espenblock St. Gallen, Block Süd (Thun), Bierkurve Winterthur, Zürcher Südkurve, Sektor IV GC Züri